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DER WIND KOMMT, DER WIND GEHT: KLIMA UND MIGRATION

Wie hängen Migration und Klima wirklich zusammen? Welche Missverständnisse gibt es? Was tragen Forschung und Politik bei?
Wie hängen Migration und Klima wirklich zusammen? Welche Missverständnisse gibt es? Was tragen Forschung und Politik bei?
Zum komplexen Zusammenhang zwischen Klima und Migration kam in der 3. Folge des Podcasts „Strom Aufwärts“ der Migrationsforscher und Soziologe Dr. Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn zu Wort. Dr. Schraven klärte im Podcast unter anderem darüber auf, was die größten bestehenden Missverständnisse über den Zusammenhang von Klima und Migration sind, die sich hartnäckig halten.

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El viento viene
El viento se va
por la frontera.

El viento viene
El viento se va.

El hambre viene
El hombre se va
sin más razón.

Der Wind kommt
Der Wind geht
Über die Grenze.

Der Wind kommt
Der Wind geht.

Der Hunger kommt
Der Mensch geht
ohne weiteren Grund.

 
 El viento – Manu Chao – 1998  

Was der französisch-baskische Musiker Manu Chao 1998 poetisch fasste, beschäftigt heute die sozialwissenschaftliche Forschung zu klimabedingter Migration. Verlassen Menschen ihre Heimat, sobald der Wind sich dreht, das Klima rauer wird, die Böden versalzen und der Meeresspiegel steigt? Brauchen sie dazu wirklich keinen weiteren Grund?

UN: Klimawandel kann Asylgrund sein – in Deutschland nicht

2020 gab der UN-Menschenrechtsausschuss bekannt, Klimaveränderungen seien grundsätzlich ein möglicher Anlass für Asylverfahren (Der Spiegel 2020). Zwar wurde im Falle eines Mannes aus dem pazifischen Inselstaat Kiribati entschieden, dass dessen Abschiebung aus Neuseeland rechtens gewesen sei. Insgesamt wertete das Menschenrechtsbüro der UN die neue Auslegung jedoch als historisch, da zum ersten Mal ein Zusammenhang von Klimawandelfolgen und Migrationsbewegungen festgestellt wurde.

Diese Einschätzung teilt die deutsche Bundesregierung nicht und argumentiert mit fragwürdigen Ausflüchten (dazu unten mehr). Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) empfiehlt die Ausstellung von Klimapässen, die von versunkenen Inselstaaten, desertifizierten Gebieten und anderen unbewohnbar gewordenen Territorien ausgestellt werden. Damit sollen durch den Klimawandel Vertriebene ihren Anspruch auf „Zugang und staatsbürgergleiche Rechte“ (WBGU 2018) einfordern können.

Zum komplexen Zusammenhang zwischen Klima und Migration interviewte Melanie Alberts, vom Grüner Strom Label e.V. in der 3. Folge des Podcasts „Strom Aufwärts“ den Migrationsforscher und Soziologen Dr. Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Dr. Schraven forscht zum Zusammenhang von Migration und Entwicklungs(politik), Umweltwandel und Migration, Migrationsgovernance, Migration und ländlicher Entwicklung sowie zur Anpassung an den Klimawandel. Dr. Schraven klärte im Podcast unter anderem darüber auf, was die größten bestehenden Missverständnisse über den Zusammenhang von Klima und Migration sind, die sich hartnäckig halten. Menschliche Mobilität sei – im Gegensatz zum vorherrschenden negativen Bild in der Öffentlichkeit – ein völlig normales Phänomen in einer globalisierten Weltwirtschaft.

Fragwürdige Zahlen – manipulative Verwertung – zurückgewiesene Verantwortung

In deutschen und internationalen Medien kursiert seit den 90er-Jahren die Zahl von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2060, oft weitgehend ohne Kontext, Definition oder Methode ihrer Erhebung (vgl. Gemenne 2011). Der Universitätsprofessor und Naturschützer Norman Myers stellte sie damals in den Raum, laut Einschätzung eines seiner Oxforder Kollegen, um “die öffentliche Meinung aufzuschrecken und Politiker zu Maßnahmen gegen den Klimawandel zu bewegen” (Castles 2011 zit. nach Barnes 2013). So edel Myers Motiv klingt, so verhängnisvoll wird diese „alarmistische“ Position mitunter politisch missbraucht. Die AfD nutzt für ihren Verschwörungsmythos eines „versteckten Umsiedlungsprogrammes für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“ (Presseportal 2018) durch den globalen Migrationspakt zwar die niedrigere Schätzung der Weltbank von 140 Mio. bis 2050, dennoch spielt diese sich im dreistelligen Millionenbereich ab. Eine Grobschätzung wie von Myers, die dazu lange Zeit durch UN-Quellen verbreitet wurde, verschafft solchen Verschwörungsmythen also Glaubwürdigkeit. „Skeptischere“ Analysen der voraussichtlichen klimabedingten Migration variieren eher im 10.000er-Bereich, da sie das Phänomen differenzierter angehen: so muss beispielsweise Binnenmigration anders bewertet werden als zwischenstaatliche Wanderungsbewegungen. Schätzungsweise 57 Prozent der weltweit migrierenden Personen wechseln innerhalb des eigenen Landes den Ort (UNHCR 2020). Die Einschätzung der UN zur grundsätzlichen Möglichkeit eines Klimaasyls akzeptiert die deutsche Bundesregierung deshalb nicht, da Klimaflucht noch nicht ausreichend erforscht sei. Methodisch fragwürdige Zahlen, die „nicht tot zu kriegen“ (Interview Dr. Schraven) seien, erlauben es also der Bundesregierung, sich juristisch aus der Verantwortung zu stehlen, sollte in einigen Jahren tatsächlich Klimamigration nach Europa stattfinden.

Klimabedingte Migration – vielfältige und komplexe Gründe

Auch sogenannte zirkuläre Arbeitsmigration ist ein Konzept, das Rechtsextremen kaum eine Grundlage für ihre Stimmungsmache bieten sollte. Hier verlassen Menschen zeitweise ihre Heimat, um andernorts – häufig in der kommerziellen Landwirtschaft oder im informellen Sektor der nächsten größeren Stadt – den Lebensunterhalt der daheimgebliebenen Familie zu bestreiten (vgl. Schraven 2020). Rücksendungen in Form von Geld oder Know-How können dann die Lage der Familie so weit verbessern, dass oft nach einiger Zeit eine Rückkehr stattfindet: “Menschen neigen dazu, sich für kurze Zeit über kurze Distanzen zu bewegen […] und dann zurückzukehren” (Alex Randall, Climate Outreach and Information Network, zit. nach Barnes 2013). Dr. Schraven sieht in diesem Zusammenhang menschliche Mobilität auch als mögliche Anpassungsstrategie an die Klimakrise: monetäre Rücksendungen können am Herkunftsort in die Kompensation der vom Klimawandel verursachten Einkommensverluste fließen. Wissenstransfers tragen zur Diversifizierung der Einkommensquellen bei.

Migration in den Globalen Norden ist also nur die Spitze des Eisbergs. Ohne die 200-Millionen-Zahl in ihren vielfältigen Kontexten zu sehen, gehen Feinheiten der Migrationsforschung der letzten 20 Jahre verloren. So ist nicht jede Migrationsbewegung automatisch eine Flucht. Letzterer Begriff beinhaltet direkten Zwang und ist mit dem völkerrechtlichen Status der „Flüchtlinge” verbunden, die den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention in Anspruch nehmen können. Da Umwelt- und Klimaveränderungen in diesem 1951 verabschiedeten Abkommen nicht als Fluchtgrund festgeschrieben sind, kann es rein völkerrechtlich betrachtet gar keine Klimaflucht geben (Tangermann/Kreienbrink 2019). Ob die zuvor beschriebene UN-Entscheidung an diesem Umstand etwas ändern wird, hängt letztendlich vom Umsetzungswillen der Einzelstaaten ab.

Die Eingekeilten – Klima kann auch zum Bleiben zwingen

Aber natürlich verlassen Menschen ihre Heimat auch, weil ihnen der Klimawandel dort die Lebensgrundlagen entzieht. Auch hier zeigt sich ein Definitionsproblem: wer wird als Klimamigrant gezählt? Nur diejenigen, die von steigenden Meeresspiegeln zur Migration genötigt sind? Oder auch diejenigen, denen durch klimatische Instabilität schleichend der ökonomische Boden unter den Füßen wegbröckelt? Landwirtschaft, Wasserversorgung und lebenswichtige Ökosysteme sind extrem klimasensibel und bilden ihrerseits oft eine komplexe Sammlung von Gründen, die Menschen zur Migration bewegt.

Schraven betont, dass kein linearer Zusammenhang zwischen Erderwärmung und Ausmaß der klimabedingten Migration existiert: die Klimakrise kann auch weniger menschliche Mobilität zur Folge haben, da die zur Migration notwendigen ökonomischen Ressourcen nicht mehr gegeben sind. Dies gelte vor allem für Kleinbauern, Viehnomad*innen und städtische Arme im Globalen Süden. Deren erzwungene Immobilität erscheint viel gravierender, da die Anpassungsstrategie Migration wegfällt, die zuvor ein letzter Ausweg war. Diese sogenannten trapped populations (dt. etwa: gefangene oder eingekeilte Bevölkerungsgruppen) können nirgendwo mehr hin – schon gar nicht nach Europa – aber Bleiben ist oft genug auch keine Option.

Mit den richtigen Fragen zum tieferen Verständnis – migrantische Lebenswelten begreifen

Um die Migrationsforschung ganzheitlicher zu gestalten, fordert Schraven daher eine Ausweitung der Fragestellungen auf die Erfahrungen von Migrant*innen und vulnerablen Bevölkerungsgruppen: „Was machen diese eigentlich mit? Wie sieht ihre Lebenswelt aus?“ Dies soll an die Stelle der zu simplen Frage treten: „Gehen sie oder gehen sie nicht?“. Denn wie zuvor beschrieben ist menschliche Mobilität nicht immer Ausdruck einer Kapitulation vor der Klimakrise, sondern kann im Gegenteil eine vielversprechende Anpassungsstrategie darstellen.

Von der Politik wünscht sich Dr. Schraven daher, dass zwar die menschenunwürdigen Aspekte erzwungener Migration – Schleppertum, Menschenhandel, Abschiebungen oft ohne Asylverfahren, Gewaltexzesse an Grenzen – möglichst unterbunden werden. Gleichzeitig sollten Politik und Öffentlichkeit in der Lage sein, die breite Palette freiwilliger Formen von menschlicher Mobilität differenzierter zu betrachten und deren Vorteile zu fördern. Dies trage einer globalisierten Welt Rechnung, in der Resilienz gegenüber dem Klimawandel immer „translokaler“ (Keck/Sakdapolrak 2013), also ortsübergreifender werden muss. In dieser Welt ist das Klima oft einer der entscheidenden Gründe, aber nicht der Einzige, der Menschen dazu bewegt, sich zu bewegen. Der Wind trägt dazu bei, sie fortzutragen, doch allein tut er dies sicher nicht.

Mehr Wissenswertes zu Klima und Migration in Folge 3 unseres Podcasts „Strom Aufwärts“.

Quellen
Barnes, H. (2013): How many climate migrants will there be?, URL: https://www.bbc.com/news/magazine-23899195, zuletzt aufgerufen 21.06.2021.

Der Spiegel (2020): Historische Entscheidung. Klimaflüchtlinge können Asylanspruch haben, URL: https://www.spiegel.de/ausland/uno-klimafluechtlinge-koennen-asylanspruch-haben-a-6a9f971e-6e67-41fb-9d6d-757af014578d, zuletzt aufgerufen 21.06.2021.

Gemenne, F. (2011). Why the Numbers Don’t Add Up: A Review of Estimates and Predictions of People Displaced by Environmental Changes. Global Environmental Change, 21, S. 41-49. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959378011001403?via%3Dihub

Keck, M. & Sakdapolrak, P. (2013): What Is Social Resilience? Lessons Learned and Ways Forward. Erdkunde, 67(1), S. 5-19. https://www.erdkunde.uni-bonn.de/archive/2013-1/what-is-social-resilience-lessons-learned-and-ways-forward.

Presseportal (2018): Meuthen: Österreich zeigt, wie es geht – Nein zum Migrationspakt der UNO, URL: https://www.presseportal.de/pm/110332/4102675, zuletzt aufgerufen 21.06.2021.

Schraven, B. (2020): Von der Gesundheits- zur Migrationskrise? Wie wir der Klimamigration nach der Corona-Zeit begegnen müssen, URL: https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/wie-wir-der-klimamigration-nach-der-corona-zeit-begegnen-muessen/, zuletzt aufgerufen 21.06.2021.

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